Deborah Klein

Im Interview: Gastland Italien der Frankfurter Buchmesse

Italien ist Ehrengastland bei der 76. Ausgabe der Buchmesse, mit rund 100 italienischen Schriftsteller:innen. Deborah Klein im Gespräch mit dem Sprecher des Ehrengastes Italien, Nico Spuntoni, über die Rückkehr nach 36 Jahren auf die Frankfurter Buchmesse.

Zuallererst stellen Sie sich bitte kurz mit ein paar Worten vor!
Ich bin Nico Spuntoni, Pressesprecher des Ehrengastes Italien auf der Frankfurter Buchmesse.

Wenn Sie drei Worte wählen sollten, um Ihre Arbeit zu beschreiben?
Herausfordernd, anregend, erfüllend.
 
Italien kehrt nach 36 Jahren auf die Frankfurter Buchmesse zurück. Was können die Besucher:innen erwarten?
Italien hat sich auf seine Rückkehr als Ehrengast mit einer Reise voller literarischer und anderer Veranstaltungen in der ‚Heimat‘ und in Deutschland vorbereitet. Zahlreiche Aktivitäten, an denen das Kulturministerium, das Außenministerium, das Landwirtschaftsministerium, die italienische Botschaft in Berlin, die ICE-Agentur (Italienische Agentur für Außenhandel) und der italienische Verlegerverband (AIE) unter der Koordination des Sonderbeauftragten der Regierung, des bekannten Schriftstellers und Journalisten Mauro Mazza, mitgewirkt haben. Die Teilnahme an der Buchmesse, sowohl im Pavillon des Ehrengastes als auch am Gemeinschaftsstand, wird ein Bild der italienischen Literatur und Kultur an vorderster Front bieten.           

Stefano Boeri, Architekt und Stadtplaner, stellte das Design des Ehrengastpavillons vor, das einer italienischen Piazza gleicht.

„Verwurzelt in der Zukunft“ ist das Motto der italienischen Buchmesse: Was bedeutet dieses Motto?
„Verwurzelt in der Zukunft“ ist ein Motto, das ein Zugehörigkeitsgefühl vermittelt, das sich nicht eingrenzen lässt, weil es auf etwas so Unbestimmtes und Unvorhersehbares wie die Zukunft gerichtet ist. Mit der Wahl dieses Mottos wollte Sonderbeauftragter Mauro Mazza erreichen, dass die italienische Beteiligung den Willen zum Ausdruck bringt, sich nicht von dem literarischen und kulturellen Erbe zu lösen – dank dem wir in der ganzen Welt bekannt sind und geschätzt werden.

Welche italienischen Autor:innen werden erwartet und wonach haben Sie bei der Auswahl gesucht?
Das literarische Programm wurde in voller Autonomie vom italienischen Verlegerverband (AIE) auf der Grundlage von Vorschlägen der Verleger:innen selbst kuratiert. Aus mehr als 300 vorgeschlagenen Namen haben wir fast hundert Autor:innen ausgewählt, wobei wir allen literarischen Genres Raum geben möchten und auch deutsche Moderator:innen und Redner:innen einladen, um die Sichtweisen der geplanten Vergleiche zu internationalisieren. Neben dem literarischen Programm wird es auch ein Fachprogramm geben, das ebenfalls von der AIE kuratiert wird, sowie einen Raum für die sogenannten „Zeitzeugen“, d.h. Vertreter:innen verschiedener Bereiche der italienischen Kultur, die Sonderbeauftragter Mauro Mazza persönlich einladen wollte, um im Pavillon bestimmte Themen anzusprechen, die für die Gegenwart und Zukunft Europas als zentral gelten.

Der Pavillon ist der wichtigste Ort für die Italiener:innen während der Messe: Können Sie etwas zur Architektur sagen?
Stefano Boeri und sein Team gestalteten für uns eine typisch italienische Piazza. Es wird Arkaden, Säulen und Terrassen geben, allesamt vertraute Elemente in den vielen städtischen Wohnzimmern des Belpaese. Die Idee ist, auf der Buchmesse den italienischen Treffpunkt schlechthin nachzubilden, wo der Alltag Gestalt annimmt und sich die Linien von Individualität und Gemeinschaft schließlich kreuzen.

Sprecher Nico Spuntoni mit Mauro Mazza, Sonderbeauftragter des Ehrengastes Italien auf der Buchmesse 2024 (links im Bild).

Welche Ziele setzen Sie sich mit der Rolle des Ehrengastes der Frankfurter Buchmesse 2024?
Das Hauptziel besteht zweifellos darin, die Attraktivität italienischer Bücher auf dem ausländischen Markt zu stärken und zur Verbreitung der Werke unserer Autor:innen beim internationalen Publikum beizutragen. Wir würden uns wünschen, dass die Teilnahme als Ehrengast zu einem deutlichen Anstieg der Übersetzungsrechte für italienische Texte führt. Darüber hinaus möchten wir die italienische Kultur im Allgemeinen ohne Rhetorik und ohne Folklore feiern, wobei die Literatur im Vordergrund steht, ohne jedoch andere Komponenten wie Musik, Kino, oder Architektur zu vergessen. Wir wollen Debatten anregen und unseren Pavillon zu einem Ort des offenen und originellen Dialogs machen.

Italien ist seit Goethes Zeiten ein beliebtes Reiseziel der Deutschen, wie das Wort ‚Italiensehnsucht‘ schon sagt. Wie erleben Sie die Verbindung zwischen deutscher und italienischer Literatur?
In dieser Zeit der Vorbereitung der 76. Ausgabe der Buchmesse konnten wir, wie Sonderbeauftragter Mazza schon mehrfach sagte, mit eigenen Augen sehen, wie groß die Sehnsucht nach Italien sowohl im Handel als auch in der Öffentlichkeit ist. Der Buchmarkt in Deutschland bestätigt dies, wenn wir an den jüngsten Erfolg von Stefan Maiwalds Buch „Meine Bar in Italien“ denken oder das verlegerische Beispiel von Daniel Specks Debüt „Bella Germania“, das inzwischen auch als Fernsehserie ausgestrahlt wird. Ein Gefühl der Liebe, das erwidert wird, wenn wir zum Beispiel an das Werk eines etablierten italienischen Autors wie Vincenzo Latronico denken, dem es in den letzten Jahren gelungen ist, das Leben im zeitgenössischen Berlin wie kein anderer zu schildern. Ich glaube, dass diese Verbindung ein Symptom für die gemeinsame europäische Berufung der beiden Literaturen ist.

Neben der Literatur aller Genres soll es auch mehrere kleinere Ausstellungen geben: Welche sind das?
Die Ausstellungen werden das Motto „Verwurzelt in der Zukunft“ widerspiegeln. Ich möchte nur zwei Beispiele nennen: In der Ausstellung „Unter einem antiken Himmel“ werden Stücke aus der griechischen, römischen, etruskischen und mittelalterlichen Epoche zu sehen sein, die es uns ermöglichen, darüber nachzudenken, dass die Antike gar nicht so weit entfernt oder anders ist als wir. Aber auch die Ausstellung „Matite giovani tra illustrazione e fumetto“ („Junge Stifte zwischen Illustration und Comic“), die von der Drosselmeier-Akademie kuratiert und von der Kinderbuchmesse Bologna organisiert wird, wird die neuen Verheißungen der Welt der Literatur und Illustration für Kinder und Jugendliche aufzeigen.

Offiziellen Angaben zufolge steht die italienische Verlagsbranche an vierter Stelle in Europa. Mehr als 70.000 Menschen sind in der Buchbranche beschäftigt. Wie wichtig ist die Literatur für Italien?
Aus den vom italienischen Verlegerverband (AIE) veröffentlichten Daten geht hervor, dass die Zahl der aktiven Verlage in Italien seit 1988 von 2.315 auf 5.148 und die Zahl der jährlichen Veröffentlichungen von 23.570 auf 68.791 gestiegen ist. Diese Zahlen widerlegen das Klischee, dass die Menschen früher mehr gelesen haben, und auch, dass die Technologie der große Feind des Lesens ist. Die Literatur ist für Italien nicht nur insofern wichtig, als sie zur Bildung dessen beiträgt, was wir als „nationales Gewissen“ bezeichnen könnten, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Nicht zu unterschätzen ist zum Beispiel der Wert des Buchexports. Hinzu kommt die grundlegende soziale Funktion der Bibliotheken und Buchhandlungen, insbesondere in den Vorstädten und Dörfern.

Was bedeutet Ihre Anwesenheit auf der Frankfurter Buchmesse für Sie?
Als Ehrengast hat man die Möglichkeit, sich als Teil einer Geschichte zu fühlen, die in einem anderen Jahrhundert begann – sogar während des Kalten Krieges und als die Berliner Mauer noch nicht gefallen war – und von der wir wissen, dass sie nach uns weitergehen wird. Die Tatsache, dass Italien 1988 das erste Land war, das diese Möglichkeit auf der Frankfurter Buchmesse erhielt, verleiht dem Motto „Verwurzelt in der Zukunft“ noch mehr Bedeutung.

Was erhoffen Sie sich für sich selbst als Gastland und für die Besucher:innen der diesjährigen Buchmesse?
Ich hoffe nicht nur, sondern bin mir sicher, dass die Besucher:innen der Messe mit der Gewissheit nach Hause gehen, dass die italienische Literatur eine universelle Sprache spricht und sich mit allen Themen befassen kann. Es wird für alle noch deutlicher werden, dass ein italienischer Autor bzw. eine italienische Autorin nicht verpflichtet ist, nur ‚italienische‘ Geschichten zu erzählen.

Welches Buch haben Sie kürzlich gelesen und würden Sie es empfehlen?
Cristina Campos Sammlung „Die Unverzeihlichen“ (in der deutschen Ausgabe). Besonders die Erinnerung an Cristina Campo – die nicht nur Essayistin und Dichterin, sondern auch Übersetzerin war – ist eine Gelegenheit, zu betonen, dass die großartige Arbeit der Übersetzer:innen, die für die Beziehungen zwischen dem italienischen und dem deutschen Verlagswesen von grundlegender Bedeutung ist, im Fachprogramm des italienischen Ehrengastes einen angemessenen Platz finden wird.

Fortsetzung gefällig? Mehr zum Gastland Italien auf der Website und auf Instagram.

Copyright: Bild des Pavillons von Stefano Boeri Interiors, Bild mit Kommissar Mazza von Ilaria Bianchi, Profilfoto Spuntoni von Alessia Ulloa

 

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