Dezember 1, 2020

Streaming und Kultur: Es gibt verschiedene Arten, Kunst zu erleben

by Deborah Klein in Branchengespräch

Die Corona-Krise macht erfinderisch und stellt die Kultur vor große Herausforderungen. Das Internet und digitale Kanäle werden mehr denn je genutzt, um kreative Inhalte an das Publikum zu bringen. Im Gespräch mit Dr. Kathrin Baumstark, künstlerische Leiterin des Bucerius Kunst Forums, über digitale Formen und das Erleben in Zeiten der Pandemie.

Zuallererst stellen Sie sich bitte kurz mit ein paar Worten vor!

Mein Name ist Kathrin Baumstark, ich bin Kunsthistorikerin und Religionswissenschaftlerin und seit fünf Jahren am Bucerius Kunst Forum, seit rund zwei Jahren künstlerische Leiterin des Hauses.

Wenn Sie drei Worte wählen sollten, um Ihre Arbeit zu beschreiben?

Kreativität, Neugier, Teamarbeit.

Frau Baumstark, die Kultur in der Corona-Krise – Wie empfinden Sie die derzeitige Lage für das Bucerius Kunst Forum und für sich persönlich?

Zugang des neuen Bucerius Kunst Forums vom Alten Wall, Foto: Ulrich Perrey

Wir alle finden es natürlich sehr schade, dass nach unserer Ausstellung „David Hockney. Die Tate zu Gast“ nun das zweite große Projekt, die gemeinsam mit dem Centre Pompidou entstandene Braque-Ausstellung, für einen gewissen Zeitraum für BesucherInnen nicht zugänglich sein wird. Doch wir bringen auch dieses Mal über digitale Formate das so vielfältige Schaffen den Kunstinteressierten nach Hause und freuen uns auf ein Wiedersehen vor den Originalen.

Welche Entwicklung hat Ihr Haus seit dem Ausbruch der Pandemie unternommen?

Seit vielen Jahren sind wir digital sehr aktiv. Das Angebot an digitalen Formaten haben wir in den letzten Monaten sowohl zur Hockney-Ausstellung als auch jetzt zu Braque weiter gestärkt. Dabei wurden sowohl bereits etablierte Formate fortgeführt und erweitert als auch neue Angebote kreiert: vom kostenlosen Multimedia-Guide für das eigene Smartphone über Videos zu einzelnen Werken, einem digitalen Essay zur Hockney-Schau bis hin zum Download-Angebot von Mal- und Bastelanleitungen. Mit den digitalen Angeboten wollen wir Barrieren abbauen und die Auseinandersetzung mit dem Original fördern. Diese Angebote bieten Kunstinteressierten – unabhängig von der Corona-Pandemie und den temporären Schließungen der Museen und Ausstellungshäusern – die Möglichkeit, sich vor, während sowie nach ihrem Ausstellungsbesuch intensiv mit den Themen der Schau zu beschäftigen und so einen umfassenderen Blick auf die spezifisch gewählten Inhalte zu erlangen, was das individuelle Ausstellungserlebnis steigert.

Wie hat sich die Kultur in Ihren Augen bereits verändert?

Georges Braque (1882-1963) ist einer der bedeutendsten französischen Künstler des 20. Jahrhunderts, Foto: Ulrich Perrey

Ich habe das Gefühl, dass durch das Corona-Virus die Wertschätzung für Kunst und Kultur noch gestiegen ist. Das Erleben, sei es in einem Konzert, im Theatersaal oder eben vor dem Original im Museum oder Ausstellungshaus, nicht digital reproduzierbar ist. Die digitalen Projekte führen hin zum Original, zum Sehen, Hören, Riechen.

Die Kultur ist auch ein Wirtschaftsfaktor – Glauben Sie, dass sich die Infrastruktur unserer Kulturlandschaft erhalten lässt?

Ich habe Angst, dass Offspaces (nichtkommerzielle, unabhängige Ausstellungsräume), aber auch kleine Clubs und Theater die Krise nicht überstehen könnten. Dies würde unsere Kulturlandschaft sehr arm machen. Da genau diese Institutionen innovative, neue und häufig auch gesellschaftlich relevante Themen in ungewohnter Weise erforschen.

Welchen konkreten Beitrag leistet Ihr Ausstellungshaus und welche Botschaft möchten Sie vermitteln?

Das Bucerius Kunst Forum ist ein von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius getragenes, internationales Ausstellungshaus, das sich durch seine fokussierten Ausstellungskonzepte sowie durch seine interdisziplinären Veranstaltungsprogramme als Forum für alle Künste versteht. Es überschreitet konventionelle Grenzen zwischen Künsten und Zeiten, hinterfragt bekannte Inhalte systematisch auf ihre aktuelle Relevanz und bietet einem breiten Publikum neue Zugänge zur Kunst. Ein hochkarätiges Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm liefert Denkanstöße und Orientierungshilfen für die Diskussion großer gesellschaftlicher Themen, den Austausch über Werte und den Platz der Kunst in einer globalisierten Welt.

Wie können sich die Formate der Kunst in ihrer Darstellung ändern? Lässt sich das Erleben von Kunst digitalisieren?

Als Ausstellungshaus haben wir einen Bildungsauftrag und damit eine Verantwortung, die Kunst und die darin verhandelten Themen zu vermitteln, vielfältige Zugangsmöglichkeiten zur Kunst und somit Wege der kulturellen Teilhabe zu schaffen. Die Digitalisierung spielt dabei eine wichtige Rolle, indem wir beispielsweise aktiv mit den BesucherInnen in Dialog treten, den kulturellen Diskurs fördern und den Austausch ins Virtuelle verlängern. Gleichzeitig führen unsere digitalen Aktivitäten zum Original. Das Erlebnis mit dem Original kann digital nicht ersetzt werden, aber durch die digitale Vermittlung wird ein Auseinandersetzen mit dem Original vor Ort gefördert.

Seit Juni 2019 leiten Sie das Bucerius Kunst Forum als jüngste Museumschefin Hamburgs. Welche Werte verfolgen Sie?

Die Retrospektive Georges Braque. Tanz der Formen im Bucerius Kunst Forum, Foto: Ulrich Perrey

Mit jeder Ausstellung möchte ich unsere BesucherInnen auf eine kleine Reise mitnehmen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Kunst den Horizont erweitern kann und uns auch zum Nachdenken über uns selbst anregt. Kunst ist und kann sinnstiftend sein. 

Wie sieht das Programm und die Planung für 2021 aus?

2021 wird wieder ein sehr abwechslungsreiches Jahr etwa mit einer umfassenden Schau zur Darstellung von Industrie in Fotografie und Malerei über einen Zeitraum von 175 Jahren oder der Ausstellung zu Emil Noldes Frühwerk.

Welchen Tipp können Sie Menschen geben, die in dieser Zeit den Zugang zur Kunst bewahren möchten?

Das Bucerius Kunst Forum bietet eine Vielfalt digitaler Angebote, die die aktuelle Ausstellung Georges Braque. Tanz der Formen, Georges Braque als Künstler sowie sein vielseitiges und umfangreiches Werk auch Zuhause näher bringt. Beispielsweise bieten wir einen kostenlosen digitalen Rundgang über das Lebenswerk und den Lebensweg dieses besonderen Künstlers, zu finden auf unserem YouTube-Kanal.

Fortsetzung gefällig? Mehr zum gesamten Veranstaltungsprogramm des Bucerius Kunst Forums auf der Website und Instagram.

Portrait: © Bucerius Kunst Forum, Foto: Max Eicke / Bilder im Text: © Bucerius Kunst Forum