Die Menschen tippen, was das Zeug hält. Und schnell soll es gehen. Diese Form der Kommunikation ist allerdings mit Folgen behaftet, für den Adressat wie Empfänger. Eine gedankliche Korrekturrunde mit Duden-Redakteurin Kathrin Kunkel-Razum.
Gelb ist er, und auskunftsfreudig: der Duden. Bereits in Schultagen half er Anwendern über den ein oder anderen Fauxpas hinweg. Seit über 130 Jahren zählt der Name Duden zum Standardnachschlag, wenn es um die deutsche Rechtschreibung geht. Am 9. August 2017 erschien bereits die 27. Auflage des Rechtschreibwörterbuchs. Doch wie geht es der deutschen Rechtschreibung in Zeiten der Digitalisierung? Schaut man sich in den sozialen Medien oder auch im eigenen Mail-Postfach um, wird deutlich: Sie leidet. Das Debattenbuch von Duden, „Warum es nicht egal ist, wie wir schreiben“, versteht sich als Plädoyer der deutschen Rechtschreibung, richtiges und gutes Schreiben wieder in den Fokus zu rücken.
Zuallererst stellen Sie sich bitte kurz mit ein paar Worten vor!
Mein Name ist Kathrin Kunkel-Razum und seit 2016 leite ich die Duden-Wörterbuchredaktion. Ich habe in Leipzig Germanistik und Geschichte studiert und danach auf dem Gebiet der Lexikologie promoviert.
Wenn Sie drei Worte wählen sollten, um Ihre Arbeit zu beschreiben?
Genauigkeit, Toleranz, Vermittlungsfreude
Wie geht es der deutschen Rechtschreibleistung?
Eher nicht so gut. Allerdings scheint das keine rein deutsche Krankheit zu sein. Die gleichen Beschwerden treten in England, Spanien und Italien auf, wenn man den Berichten glauben kann. Und: Je jünger die Menschen, desto schwächer offenbar die Leistung, wenn man das mal verallgemeinern will. Tests zu Rechtschreibleistungen von Grundschülern lassen eine schwere Krankheit vermuten. Wie es um die (älteren) Erwachsenen steht, wissen wir nicht so genau, weil sie ja nicht getestet werden.
Schaut man in die sozialen Medien, fehlt es oft an korrekter Rechtschreibung. Wollen wir nicht oder können wir nicht?
Beides. Zum einen wollen wir nicht, weil wir der Meinung sind, hier gelten andere Kommunikationsregeln, es herrscht zum Beispiel ein größerer Einfluss des Mündlichen. Oder wir denken, die generelle Kleinschreibung soll sich wenigstens hier durchsetzen. So bilden sich tatsächlich neue Schreibregeln für die sozialen Medien heraus. Wie weit diese bereits verfestigt sind, müssen die Linguist/-innen, die dazu forschen, herausfinden. Zum anderen können wir es aber eben auch nicht: weil wir die eigentlichen Regeln nicht beherrschen; weil wir der Autokorrektur vertrauen; weil wir gar kein Bewusstsein dafür haben, dass wir Fehler machen könnten; weil es uns egal ist.
Die Digitalisierung hat unser Kommunikationsverhalten verändert und beschleunigt. Ist die schwache Rechtschreibleistung also eine Folge dessen?
Schwache Rechtschreibleistungen resultieren aus vielem: dem schwindenden Ansehen von richtiger Schreibung, der Schnelligkeit unserer Kommunikation, dem permanenten Zeitdruck, unter dem wir alle auf der Arbeit stehen. Was übrigens fatal ist, denn je schlechter die Rechtschreibung in einem Text ist, den wir erhalten, desto mehr Zeit brauchen wir beim Dekodieren, beim Lesen. Die Hauptursache ist aber meines Erachtens ein ungenügender Rechtschreib- und Grammatikunterricht (den braucht man für die Zeichensetzung) in den Schulen, denn hier wird das Fundament gelegt. Und wenn das Risse oder gar Löcher hat, wird das Haus darauf später schwerlich halten.
Der Titel des Buches ist klar: „Warum es nicht egal ist, wie wir schreiben“ – Was passiert, wenn wir uns unserer Rechtschreibung nicht länger bemühen?
Wir verlieren, um mit den Worten des Theater- und Filmschauspielers Burghart Klaußner zu sprechen, einen Teil unserer Zivilisation: „Schreiben ist Zivilisation“, das ist sein Kernsatz in unserem Buch. Für mich gilt das übrigens auch für das Lesen und das Rechnen. Beim Lesen, bei dem auch vieles im Argen lag (und wohl auch immer noch liegt), ist viel geschehen, um seinen Stellenwert wieder zu erhöhen: Es gibt Vorlesetage, Lesepaten gehen in die Schulen usw. Leider wird bisher der textproduzierende Schritt davor, nämlich das Schreiben, weitgehend ausgeblendet.
Richtiges Schreiben ist für mich aber auch eine Frage des Respekts: Ich halte mich an gesellschaftlich (nämlich im Rat für deutsche Rechtschreibung) vereinbarte Regeln. Und ich vergeude nicht die Zeit der Menschen, die meine Texte lesen müssen oder wollen. Sie sollen nicht erst rätseln müssen, was ich ihnen mit meinem Geschreibsel eigentlich sagen möchte. Das ist auch eine (sprach)ökonomische Frage. Ferner geht es um die Verbindung von Inhalt und Form oder wie Professor Dr. Peter Gallmann, Inhaber des Lehrstuhls für Deutsche Sprache der Gegenwart, im Buch sagt: „Man traut dem Inhalt nicht, wenn die Form nicht stimmt.“ Ganz wichtig aber auch die Sicht von GrundschullehrerinUlrike Holzwarth-Raether, der vierten Mitstreiterin in unserem Buch: „Eine gute Rechtschreibung ist ein Beitrag zur Chancengleichheit.“
Sind heute andere Werte in der Gesellschaft wichtiger als das richtige Schreiben?
Zumindest in der schulischen Ausbildung haben sich die Gewichte verschoben: Mündliche Kompetenzen wie das Präsentieren nehmen heute einen sehr viel größeren Platz ein als das korrekte Schreiben. Und das ganz abgesehen davon, dass die Schule insgesamt sehr viel mehr leisten muss als früher – neben der Bildungs- und Kompetenzvermittlung hat sie viele soziale Funktionen, die an sie ausgelagert werden, zu übernehmen. Dennoch: An gesichertem Wissen führt nichts vorbei. Und gute Rechtschreibleistungen erfordern bei den meisten, ebenso wie gute Matheleistungen, auch ein gerüttelt Maß an Übung. Dem muss wieder mehr Zeit eingeräumt werden.
Ist uns der Respekt gegenüber der Sprache oder dem Empfänger abhandengekommen?
Manchmal glaube ich das schon. Aber hier geht es eben auch um noch mehr als Rechtschreibung. Ein schriftlicher Text ist etwas anderes als ein mündlicher, es herrschen andere, nicht selten strengere Normen. Das beginnt mit der Anrede in einer Mail: Ich persönlich stolpere immer noch, wenn ein wildfremder, deutlich jüngerer Mensch seine Mail an mich mit „Hallo Frau Kunkel-Razum“ beginnt und mit „Liebe Grüße …“ beendet. Ich gehe zwar davon aus, dass das in einigen Jahren akzeptierter Standard sein wird, zurzeit tue ich mich damit noch sehr schwer und ich würde auch nicht so schreiben.
Shopping, Meeting oder Coffee to go – Ist eine andere Sprache wichtiger geworden?
Der Einfluss des Englischen ist groß geworden, ohne jeden Zweifel. Aber es ist auch nicht so, dass uns das Englische überrollt und wir machtlos davorstehen. Mit technischen, kulturellen, gesellschaftlichen Entwicklungen aus dem englischsprachigen Raum kommen auch die entsprechenden Benennungen, also Wörter, zu uns. Aber zum einen ist unser Sprachsystem sehr stark und hat sehr ausgeprägte Integrationskräfte. Nehmen wir mein Lieblingsbeispiel fluffy: Aus dem englischen Adjektiv ist längst ein deutsches geworden, integriert in Aussprache und Grammatik des Deutschen – fluffig. Und es hat unserem Wortschatz eine neue Nuance von locker beschert. Aber auch ansonsten liegt ja viel an uns: Wir entscheiden jeden Tag, ob und wie viel englischen Wortschatz wir in unserem Beruf und privat benutzen.
Wie reagieren Menschen, wenn sie auf ihre schwache Rechtschreibung hingewiesen werden?
Oft sehr empfindlich, zumindest etwas ältere Menschen. Deshalb tue ich das auch nur im äußersten Notfall, zum Beispiel, wenn es um berufliche Belange geht. Jüngeren Menschen, so unsere Erfahrung aus Testgruppen, die wir aus verschiedenen Gründen befragt haben, ist das richtige Schreiben oft nicht mehr so wichtig, wobei unklar bleibt, ob sie es eigentlich können.
Wie kann der Einzelne seinen Beitrag für eine Verbesserung leisten? Ihr Tipp (im Alltag)?
Am wichtigsten ist, dass der/die Einzelne überhaupt ein Bewusstsein dafür entwickelt, wie wichtig korrektes Schreiben ist und dass er/sie Fehler machen könnte. Dann kann man Kontrollmechanismen einbauen, bei wichtigen Texten z.B. Freunde bitten, diese Korrektur zu lesen. Oder zumindest mal ein Rechtschreibprüfprogramm über den Text, auch eine Mail, laufen lassen. Zumindest aber sollte man jeden Text selbst einmal gegenlesen, bevor man auf den Senden-Knopf drückt, auch wenn es eilig ist.
Rechtschreibfehler finden sich auch auf öffentlichen Plakaten und Prospekten, Orte, die der Mensch mit einer korrekten Rechtschreibung verbindet. Wie erklären Sie sich diese Fehlerquote?
Das sind Dinge, die ich persönlich wirklich ärgerlich finde, auch wenn natürlich niemand davor gefeit ist, mal einen Fehler zu übersehen. Am meisten ärgert es mich bei Zeitungen, gedruckt oder elektronisch, teuren Büchern und Homepages öffentlich-rechtlicher Einrichtungen usw., die hier eigentlich ihrer sprachlichen Vorbildfunktion nachkommen sollten. Natürlich spielen häufig Kostengründe eine Rolle: Korrektorate werden überall abgebaut, es wird unter höchstem Zeitdruck geschrieben und veröffentlicht, gerade im digitalen Bereich. Und die Korrekturprogramme werden zwar immer besser, sind aber nicht perfekt, denken wir zum Beispiel an die Worttrennung. Die allgemeine Regel lautet ja, dass der letzte Konsonant mit auf die neue Zeile geht. Aber Erfolgsautorin wird eben nicht Erfolg-sautorin getrennt, hier gilt das Prinzip der Trennung nach Wortbestandteilen. Das hat das Korrekturprogramm noch nicht immer verstanden.
Wie wird sich die deutsche Sprache in der Zukunft entwickeln?
Darüber ließen sich mehrere Doktorarbeiten schreiben, je nachdem, welchen Bereich wir betrachten, die Rechtschreibung, die Grammatik, den Wortschatz, Kommunikationsformen (wie sprechen wir uns an?) oder die Reflexion über Sprache, beispielsweise Fragen der Political Correctness oder des Genderns. In all diesen Bereichen spielen sprachinterne und sprachexterne Faktoren eine Rolle. Insgesamt aber mache ich mir gar keine Sorgen: Die deutsche Sprache ist ein quicklebendiges und dynamisches System, das sich ständig weiterentwickelt, so wie wir uns selbst auch weiterentwickeln. Am meisten irritieren mich immer Zuschriften, in denen Leute sagen: Das und das war schon immer so und so muss es auch immer bleiben. Aber natürlich gibt es auch Entwicklungen, die mich persönlich stören und gegen die ich gerne etwas unternehmen würde, z.B. die zunehmende Getrenntschreibung von Komposita wie Creme Seife. Da hat aber vermutlich jeder, der mit Sprache arbeitet, sein Lieblingsthema.
Ihre Lieblingsregel der Rechtschreibung, auf die Sie hinweisen möchten?
Meine Lieblingsregeln sind außer der schon genannten Zusammenschreibung von Komposita tatsächlich die Kommaregeln. Dieses kleine Beistrichlein erleichtert uns beim Lesen derart das Leben, dass ich mich oft wundere, warum es mit so viel Ignoranz gestraft wird.
Fortsetzung gefällig? Das aktuelle Debattenbuch von Duden von Mitherausgeberin Kathrin Kunkel-Razum ist im Buchhandel erhältlich. Mehr zum Buch auch im Video-Gespräch im Hause Duden.